23. Mai 2008, 21 h
Marguerite Duras Hiroshima, mon amour


Zwei Menschen begegnen sich. Wie? Das ist unwichtig. Was man von ihnen weiß, ist, dass sie nun gemeinsam in einem Zimmer liegen, eng umschlungen, und sich unterhalten. Wo? Das ist schon wesentlicher. In Hiroshima. Und sie ist hier, weil sie bei einem Film mitwirkt. Einem Friedensfilm, wie sie zu dieser Zeit häufig in Hiroshima gedreht werden. Und er? Er lebt hier.

Sie wird in wenigen Stunden abreisen. Und sie will ihn in dieser Zeit nicht mehr sehen. Doch er kommt zum Drehort, und wieder geht sie mit ihm. Und diesmal erzählt sie ihm - erzählt ihm das, was sie seither niemandem erzählt hat. Von ihrer Liebe zu dem deutschen Soldaten in Nevers und wie dieser erschossen wird. Und sie nur noch bei ihm bleiben kann, bis er stirbt - und dann als Kollaborateurin geschoren wird. Den Rest des Krieges im Keller verbringt.

Bleib, bittet er sie. Doch sie kann nicht. Will nicht. Kann nicht...



11. April 2008

Wolfgang Koeppen Jugend


Wolfgang Koeppen, geboren in Greifswald, unglücklich in »Pommerland«, erfindet einen, der ihm ähnlich ist, einen, der wie er aus Greifswald stammt und ebenso heimatverdrossen ist. Seinem Protagonisten legt er die Abscheu in den Mund, die anders vielleicht nicht auszusprechen wäre: »Ich haßte die Stadt hinter den Wiesen, die berühmte Silhouette, die der Maler gemalt hatte« (S. 142). Die »Stadt hinter den Wiesen« mit der Universität, mit der Langen Straße, der Hunnenstraße, mit der Nähe zum Fischerdörfchen Wieck und zur Ostsee, ist Greifswald und doch bei aller Deutlichkeit lediglich ein Synonym für die arge Provinz, der es zu entkommen gilt: »ich dachte an Flucht aus dieser Stadt, aus diesem Land, Flucht, Flucht, und ich folgte dem Schauspiel« (S. 127).

Der eine ist in diese Stadt hineingeboren, Sohn eines Ballonfahrers (eigentlich Privatdozent für Augenheilkunde), unehelich, »von Anbeginn verurteilt« (S. 68). Seine Mutter Maria ist jung. Sie ist arm und verlassen. Sie arbeitet als Weißnäherin für die umliegenden Güter, später als Souffleuse im Theater. Maria liebt die Stadt. Sie kennt keine andere. Von ihr wird er das Fahrgeld für ein Nimmerwiedersehen nicht bekommen. Er muss bleiben, als längst Ausgestoßener. Ein nur vermeintlicher Ausweg ist das »Militär-Knaben-Erziehungs-Institut« (S. 44), wo er, zwölfjährig, der nichts ist außer ein »Klotz« (S. 42) – oder schwerer – ein »Stein« am Bein der Mutter (S. 45), plötzlich »Deutschlands Zukunft« (S. 51) wird. Von einer Grippe übermannt, träumt er den »Heldentod«, doch im letzten Moment – wie es scheint – kommt wieder sie, Maria, ihn zu holen, zurück in die Stadt wo seine Jugend spielt und doch nicht spielt: »In meiner Stadt war ich allein. Ich war jung, aber ich war mir meiner Jugend nicht bewusst. Ich spielte sie nicht aus. Sie hatte keinen Wert. Es fragte auch niemand danach. Die Zeit stand still. Es war eher ein Leiden. Doch gab es keinen, der mir glich« (S. 127). Vielleicht glich ihm tatsächlich keiner, in der Zeit, die drängte, doch still stand, zur Zeit des Kaiserreichs bzw. der Weimarer Republik, den beiden Epochen der Jugend. Dennoch gibt es weitere Ausgestoßene, Randfiguren, auf die Koeppen es in seinem Buch abgesehen hat: Käthe Kasch zum Beispiel, Freundin der Mutter, blinde Pianistin, die der Sohn zur Polizeistunde nach Hause begleitet. Sie spielt in der Fledermausdiele bei Rotlicht und »geschwärzten Fenstern« (S. 77) und bezahlt ihn mit Millionen, die doch wertlos sind. Oder Tante Martha, Amtsgerichtsrat, Vormundschaftsrichter, schwul in seiner Art, deshalb verpönt, eben nicht wie die braven Bürger, sondern »gutherzig und angesprochen von Jugend und nicht ohne Zweifel am Gesetz und der allgemeinen Sitte«, vielmehr durchsetzt von »Freundlichkeit« sowie »Einsicht und Trauer gegen die ihm aufgepreßte Strenge« (S. 99). »Tante Martha war eine stadtbekannte Persönlichkeit und gehörte schon längst zu den Menschen, die mich beschäftigten, denen ich heimlich folgte, in die ich mich verwandelte, um sie zu erkennen und wie sie zu träumen« (S. 97). Alles Einbildung, will der Autor uns sagen und schreibt es seinem Verleger: »Es ist mehr Dichtung als Wahrheit. Erinnerungen an eine fremde Jugend, eigentlich Kindheit, Alpträume von einem anderen. Ich habe diese Wohnung nicht bewohnt, war auch nie in einer Militärerziehungsanstalt, verbrachte meine Schuljahre in Ostpreußen und nicht in Pommern, wuchs nicht in einem Milieu extremer Armut auf, aber ich hatte diese Empfindungen, oder sie kamen mir beim Schreiben« (Wolfgang Koeppen an Siegfried Unseld, München, 2. April 1976). Jugend als Autobiographie Koeppens missverstehen, würde demnach bedeuten, den Sinn des Buches vorschnell zu verwischen. Jugend ist kein autobiographisches, es ist ein in höchstem Maße persönliches Buch. Der Text endet, wie er begonnen wurde, mit der Mutter: »Ich schrieb, meine Mutter fürchtete die Schlangen« (S. 142). Die Mutter endet mit dem Ende des Textes, sie stirbt. Jugend ist ein Epitaph: auf die Mutter, auf die Jugend, auf die Literatur. Nur so lässt sich die Enge allen Geschehens lösen, mithilfe der Literatur gelingt die ewige Flucht in die erträglichen Zwischenräume der Phantasie




7. März 2008
Drei Frauen

In diesen Erzählungen tastet Musil in das Dunkel jenes unfaßbaren Seins, das die Grenze unseres Menschentums umgibt und uns noch Dinge vermittelt, die schon außerhalb unseres Lebens zu sein scheinen. Drei Frauen: der Bäuerin, der portugiesischen Aristokratin und der Verkäuferin stehen drei Männer gegenüber, die durch sie ihre Tragik erleiden. Eine große Fremdheit liegt hier zwischen den Geschlechtern, und gerade in dieser Spannung zeigt sich Musils eigentliche Stärke, hineinzuwandern in die seelischen Labyrinthe und Hintergründe.

Robert Musil, 1880 in Klagenfurt geboren, starb 1942 in Genf. Zu seinen wichtigsten Werken gehören u.a. 'Die Verwirrungen des Zöglings Törless', 'Drei Frauen', 'Nachlass zu Lebzeiten' und 'Der Mann ohne Eigenschaften'.


25. Januar 2008
ECCE HOMO

»Ich kennen mein Loos. Es wird sich einmal an meinen Namen die Erinnerung an etwas Ungeheures anknüpfen, - an eine Krisis, wie es keine auf Erden gab.«

Wer Nietzsches Ecce homo zur Hand nimmt, muss sich viele Frage stellen. Er kommt nicht umhin, zumindest für sich selbst zu klären, was von diesem Text und von der geistigen Verfassung seines Autors zu halten ist. Denn Ecce homo ist ein maßloses Buch eines maßlosen Menschen in maßloser Absicht.

Nietzsche polemisiert darin heftig gegen Moral, Seele, Geist, freien Willen und sogar Gott. Und er verkündet seine Weisheit, zu der es gehört, dass sie niemals schon gefunden, sondern immer erst zu suchen ist.

Mit einem Nachwort von Volker Gerhardt.

Über den Autor
Friedrich Nietzsche (1844-1900) stammte aus einer evangelischen Pfarrersfamilie, besuchte die renommierte Landesschule in Pforta bei Naumburg, studierte in Bonn und Leipzig und wurde mit 25 Jahren Professor der klassischen Philologie in Basel. Er war ein genialer Denker, Meister der Sprache und begabter Musiker und Komponist. Sein Leben war bestimmt von problematischen Beziehungen, etwa zu Richard Wagner oder Lou Andreas-Salomé, und endete in der bedrückenden Einsamkeit des Wahnsinns. Seine Werke von der »Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« bis »Also sprach Zarathustra« gewannen großen Einfluss auf die Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts. Heute gilt er als einer der wichtigsten Wegbereiter der Moderne.

Dezember 2007

Liebe als Vereinnahmung: Dieser Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen tritt in den drei von Doris Lessing erzählten Geschichten besonders deutlich zutage. Da sind einmal die beiden Freundinnen in „Die Großmütter“, die sich ein Leben lang treu bleiben und denen ihr Beisammensein letztendlich wichtiger ist als ihre jeweiligen Ehen – der Mann der einen stirbt, der der anderen verlässt sie, weil er sich nicht richtig wahrgenommen fühlt. Zwar fehlt jede sexuelle Komponente zwischen den beiden Frauen, jedoch wird dies einfach auf den Sohn der jeweils anderen projiziert. Die daraus resultierenden Affären, die über mehrere Jahre gehen, werden von den Frauen schließlich beendet – denn vernünftig sind sie ja, und überhaupt muss der allgemein gültige Lebensplan eingehalten werden, das heißt, ihre Söhne müssen heiraten und Nachwuchs zeugen.

Der Nachwuchs spielt auch in der Erzählung von „Victoria und die Staveneys“ eine tragende Rolle. Hier geht es um den alltäglichen Rassismus im liberalen Gewand und das Produkt einer Affäre zwischen einem schwarzen Mädchen und einem Jungen aus guter Familie. Victoria und Thomas waren zusammen auf derselben öffentlichen Grundschule, er allerdings nur, weil sein Vater ihn und seinen Bruder „mit dem wirklichen Leben“ konfrontieren wollte, bevor beide auf angemessenere Schulen wechselten. Jahre später treffen sich die beiden wieder, Victoria arbeitet inzwischen in einem Plattenladen, in dem Thomas zufällig vorbeikommt. Sie beginnen eine Affäre, die jedoch nur einen Sommer andauert. Victoria wird schwanger, ohne Thomas davon zu erzählen. Erst als die gemeinsame Tochter Mary sechs ist, kommt es zu einem Treffen. Zu Victorias Überraschung freuen sich sowohl Thomas als auch seine Eltern sehr über das unerwartete Kind. Doch die Begegnung entpuppt sich längerfristig als schwierig, durch den Kontakt mit der Familie wird Mary ihrer Mutter und ihrer Umgebung zu Hause langsam entfremdet. Doch die Staveneys wollen schließlich nur das Beste, wie soll Victoria sich dem also guten Gewissens entziehen?

Die letzte der drei Geschichten handelt von der vermeintlich großen Liebe eines englischen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs. Während eines Aufenthalts in Südafrika hat er eine kurze, heftige Affäre mit der verheirateten Gastgeberin. Später erfährt er, dass sie schwanger geworden ist. Zwar sieht er weder die Frau noch das Kind jemals (wieder), jedoch wird sein weiteres Leben von dieser Affäre bestimmt. In seiner Vorstellung wird die Frau zur vermeintlich einzig wahren Liebe seines Lebens, und das Kind dementsprechend „Ein Kind der Liebe“, so auch der Titel der Geschichte. Derartige Rückwärtsgewandtheit ist jedoch in der Regel nicht gerade förderlich für ein entspanntes Leben im Hier und Jetzt. So ist er auch noch 20 Jahre später überzeugt: „Es ist schrecklich, wenn man weiß, dass man das falsche Leben lebt, nicht das eigene Leben.“ Das ist richtig, allerdings ist es auch schrecklich, wenn man der Realität nicht ins Auge blicken kann.

Lessing erzählt in knapper Sprache wunderbare Geschichten über die Schwierigkeiten der Liebe oder das, was dafür gehalten wird. Sie zeichnet genaue Porträts ihrer Figuren und deren jeweiligen Ängste und Verletzlichkeiten. Die Autorin, die einmal gesagt hat, sie wolle so schreiben, dass die Leute es auch verstehen könnten, hält nichts von kunstvoll verschachtelten Sätzen. Für Liebhaber sprachlicher Finessen mögen diese Geschichten daher möglicherweise nichts sein, für alle anderen aber durchaus empfehlenswert.

Katrin Zabel

Doris Lessing: Ein Kind der Liebe, Drei Erzählungen, Hoffman und Campe 2004, 289 Seiten